Deutsche Unternehmen beklagen, dass Absolventen immer unselbstständiger werden. Unseren Autor Daniel wundert das nicht. Im Gehetze um Turboabi und Regelstudienzeit bleibt selbstständiges Denken auf der Strecke.
Irgendetwas ist immer. Während du gerade diesen Text liest, solltest du eigentlich lieber deine Präsentation vorbereiten, 200 Seiten für dein Seminar lesen oder dir Gedanken über deine Hausarbeit machen. Kaum ist ein Projekt abgeschlossen, folgt das nächste. Im Akkord lernen wir unzählige Theorien auswendig, um sie nach der Klausur wieder zu vergessen oder lesen Literatur für unsere Hausarbeit, ohne am Ende wirklich verstanden zu haben, worum es ging.
Stress und Überarbeitung sind nur eine Seite der Medaille. Es ist zwar wichtig, neben Studium und Karrierewahn Zeit für sich selbst zu haben, doch an den Theken der Studentenkneipen lernen wir sicher nicht, selbstständig zu denken. Und in einem Vollzeitstudium auch außerhalb der Vorlesungen mal einen Blick in ein Buch zu werfen, ist nicht zu viel verlangt. Woran liegt es also, dass uns Arbeitgeber für Fachidioten halten? Schließlich haben wir durch unzählige Praktika genügend Erfahrung in der realen Arbeitswelt gesammelt.
Runter mit den Scheuklappen
Was uns zwischen Klausuren und Nebenjobs fehlt, ist die Zeit zum Nachdenken. Dabei geht es nicht darum, in einem stillen Kämmerchen bei Kerzenschein und rotem Burgunder über das Leid der Welt nachzudenken. Es reicht schon, nach dem großen Ganzen des eigenen Studienganges zu suchen. Das allein ist schon Arbeit genug. Theorien und Formeln sind das eine, aber erst die Fähigkeit, sie im realen Leben anwenden zu können, macht sie wertvoll.
Niemand wird uns später im Büro fragen, ob wir den Satz des Pythagoras auswendig kennen oder in welchem Jahr Napoleon in Russland einmarschierte. Stattdessen müssen wir initiativ zeigen, dass wir das gelernte Wissen eigenständig anwenden und Zusammenhänge zu realen Problemen herstellen können. Doch diese elementare Fähigkeit wird uns im Laufe unseres Schul- und Studienlebens viel zu selten vermittelt. Denn der Druck, möglichst schnell für den Arbeitsmarkt bereitzustehen, lässt keine Zeit zum Grübeln. Zumindest nicht dann, wenn es dafür keine Credit Points oder Noten gibt.
Doch wenn dieser Umstand aus der Wirtschaft (berechtigt) kritisiert wird, gleichzeitig aber nur Ausschau nach 20-jährigen Absolventen gehalten und bei Älteren gerne das Bild des faulen Studenten auf einem Selbstfindungstrip geprägt wird, schießen sich die Damen und Herren ins eigene Bein. Mehr Zeit zum Lernen bedeutet nicht automatisch, jeden Abend feiern zu gehen und bis 14 Uhr zu schlafen. Viel mehr bietet es die Chance, auch einmal einen Blick zurückzuwerfen und Studieninhalte kritisch zu reflektieren. Das mag mehr Zeit kosten als Turboabi und Bachelor vorsehen, aber macht aus Fachidioten wertvolle und selbstständig denkende Mitarbeiter.