Erasmus in Litauen – Teil 3: Wohnen unter der Brücke

Erasmus in Litauen – Teil 3: Wohnen unter der Brücke

Im dritten Teil seines Auslandstagebuches berichtet unser Autor Daniel von der Herausforderung, eine passable Wohnung zu finden und warum er trotz aller Komplikationen niemals in ein Wohnheim gezogen wäre.

Zugegeben, irgendwie hatte ich mir zu Beginn alles ein wenig leichter vorgestellt. Einmal mit den deutschen Euroscheinen winken und alle Vermieter würden sich darum reißen, den deutschen Fürsten zu beherbergen. Eine schöne Vorstellung. Doch wie überall auf der Welt haben es Fremde mit kurzer Aufenthaltsdauer nicht leicht.

Angefangen bei der Sprachbarriere. Die meisten Wohnungsangebote gibt es ausschließlich auf Litauisch. Zwar lässt sich ganz leicht durch Google zumindest der gröbste Inhalt der Botschaft ermitteln, doch mein Survival Lithuanian reicht bei Weitem nicht aus, um auch auf Litauisch zu schreiben. In Hinblick auf die Tatsache, dass bis zur Unabhängigkeit alle Litauer Russisch statt Englisch lernten, erklärt sich daher schnell, warum ich auf meine Anfrage oft keine Rückmeldung bekomme.

Ein weiterer Grund mag darin liegen, dass Vermieter in den allermeisten Fällen einen langfristigen Mieter suchen, statt eines Erasmusstudenten, der nach vier Monaten wieder das Land verlässt und im schlimmsten Fall bis dahin die Bude abgebrannt oder unter Wasser gesetzt hat. Oder erst das eine, dann das andere. Zwar gibt es auch einige englischsprachige Agenturen, doch deren großzügiger Vermittlungsdienst kostet schnell mehrere Hundert Euro.

So beobachte ich, wie ich nach einer Woche erfolgloser Suche nach und nach meine Ansprüche herabsetze. Plötzlich erscheint auch die verstaubte 70er-Jahre-Einrichtung im kommunistischen Chic ansprechend. Alles besser als nichts.

Jugendherbergsfeeling 24/7

Warum also nicht ins Wohnheim? Doch das ist in Litauen eine Sache für sich. Jeder Erasmusstudent hat die Möglichkeit, einen Wohnheimplatz zu bekommen, der monatlich zwischen 40 und 60 Euro kostet. Preislich lässt sich dieses Angebot vermutlich nur unterbieten, wenn man seine Zelte unter der Brücke aufschlägt. Doch dieses vermeintlich unschlagbare Angebot hat so seine Tücken.

Denn der Standard der litauischen Wohnheime ist nicht vergleichbar mit den deutschen. Das liegt zum einen am Alter sowie dem Zustand der Einrichtung. Fälle, in denen beispielsweise bei Temperaturen unter dem Nullpunkt die Heizung ausfällt oder die Wände von Schimmel bewuchert werden, sind zwar Einzelfälle, aber durchaus im Bereich des Möglichen.

Zum anderen teilt man sich im Gegensatz zur Mehrheit der deutschen Wohnheime sein Zimmer mit bis zu zwei anderen Bewohnern. Privatsphäre ist dort ein Fremdwort. Ob Musik, Netflix oder das Ausschalten des Lichts: Alles ist eine Frage der gegenseitigen Abstimmung. Als wäre man auf einer nie endenden Klassenfahrt. Und wie unter diesen Voraussetzungen der Besuch von nächtlichen Partybekanntschaften geregelt wird, bleibt mir ein Rätsel. Zumindest kann ich mir Schöneres vorstellen, als nachts um drei höflich von meinem angetrunkenen Zimmerkollegen und seiner Bekanntschaft gebeten zu werden, für fünf bis 50 Minuten – je nach körperlicher Verfassung – in der Gemeinschaftsküche zu verschwinden.

Aber es hat auch Vorteile, in den Wohnheimen zu wohnen: In den Einzelapartments in der Innenstadt ist es viel schwieriger, Kontakte zu knüpfen. Dort muss man häufig selbst die Initiative ergreifen, sofern man sich nicht vereinsamt in den Schlaf weinen will. In den Wohnheimen ergeben sich Kneipentouren und Co. durch geteilte Küchen und regen Betrieb in den Zimmern automatisch. Wer Sorge hat, den Anschluss zu verpassen oder ohnehin gerne viele Leute um sich hat, ist dort bestens aufgehoben.

Für mich hat sich dagegen schlussendlich doch noch ein Apartment im Stadtzentrum gefunden. 360 Euro für rund 20 Quadratmeter spielen durchaus in derselben Liga wie vergleichbare Wohnung in deutschen Großstädten. Dass ich damit mehr als ein Litauer für eine vergleichbare Wohnung zahle, erklärt sich von selbst. Doch auch wenn das Haus von außen wie eine verlassene sowjetische Kaserne wirken mag, ist die Einrichtung meines Zimmers äußerst modern und viel wichtiger: Das Kapitel Wohnungssuche ist endlich abgeschlossen. Schließlich gibt es im Ausland Spannenderes als das Lesen von Wohnungsangeboten.