Im fünften Beitrag unserer Serie schreibt unser Autor Daniel in seinem Auslandstagebuch über Studienerfahrungen, seltsame Studienarbeiten und wie man zielsicher Deutsche am Ende einer Vorlesung erkennt.
Ein ernster Blick wandert den Hörsaal ab. „Wann wurde das Wahlrecht in Russland das erste Mal geändert?“, fragt unser Dozent Laurynas erneut in die Stille des Hörsaals, als sich plötzlich eine tapfere Mitstreiterin auf sein Spiel einlässt. „1993?“ Laurynas nickt zufrieden, doch jetzt geht das Spiel für meine Kommilitonin erst los. „Richtig. Von wem? Warum? Mit welchem Ziel?“ Niemand möchte in diesem Moment mit ihr tauschen, so viel steht fest. Diskussionen in litauischen Seminaren gleichen zuweilen einem Verhör.
Die akademischen Kulturunterschiede zwischen Litauen und Deutschland offenbaren sich an einigen Stellen. Die auffälligste davon wird der Mailverkehr sein, in dem konsequent mit Vornamen kommuniziert wird. Ob Professor oder Fakultätsleiter, jeder schreibt mich mit meinem Vornamen an, aber unterzeichnet die Mail auch mit Selbigem. Ein Umstand, der mich als spießigen Deutschen vollkommen aus dem Konzept bringt, wo es hier doch nicht Schöneres gibt, als Leute durch verschiedene Kombinationen aus „Du“, „Sie“ sowie Vor- und Nachnamen auf Distanz zu halten.
Uniklopfer statt Bahnhofsklatscher
Ebenso müssen sich deutsche Studenten angewöhnen, nach dem Ende einer Veranstaltung auf das obligatorische Klopfen auf den Tischen zu verzichten, da außer uns niemand auf der Welt so etwas Dummes macht. An einem Abend fragte mich mal ein Slowene zögerlich nach zwei Bieren, ob wir denn wirklich nach jeder Veranstaltung klopfen würden. Verschämt musste ich diese Frage bejahen und nutzte die Chance, ihm gleich auch noch zu beichten, dass wir nach erfolgreicher Landung auf Mallorca den Lufthansa-Piloten für seine getane Arbeit beklatschen. Die Deutschen sind leichter zu begeistern, als es viele vielleicht erwarten mögen.
Inhaltliche Unterschiede festzustellen, ist dagegen schwieriger. Ich habe sowohl Seminare mit hoher als auch mit niedriger Qualität erlebt – genauso wie in Deutschland auch. Während ich in meinem Politikseminar bis zu 150 Seiten pro Woche lesen muss, besteht meine Leistung im Mediensoziologieseminar aus dem Erstellen einer persönlichen Medien-Autobiographie. Ich muss also darlegen, ob es meinen Charakter nachhaltig verdorben hat, dass ich als Kind „Glücksrad“ statt „Biene Maja“ im Fernsehen gesehen habe. Diese bemerkenswerte Leistung wird am Ende mit stolzen fünf Creditpoints dotiert.
Projekt „Irgendwie durchkommen“
Die sprachliche Herausforderung ist dagegen viel niedriger, als viele es befürchtet hatten. Zum einen sind die Englischkenntnisse aus Schulzeiten erstaunlich schnell wieder präsent, zum anderen kämpfen auch die Dozenten mit ihren Kenntnissen. So ist eine meiner Dozentinnen beispielsweise der festen Überzeugung, das Wort „society“ würde „so-shitty“ ausgesprochen, was es zugegeben schwierig macht, nicht laut loszulachen.
Doch abgesehen von solchen Anekdoten, gewöhnt man sich auch relativ schnell an die neue Uni-Umgebung. Nicht zuletzt, weil Studieren in den meisten Fällen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die meisten Studenten wie auch ich müssen lediglich bestehen, da die Noten zu Hause keine Rolle spielen. Dementsprechend viel Zeit wird auch in Vor- und Nachbereitung der Seminare investiert. „Hauptsache bestanden“ lautet das Motto. Bei Erasmus geht es schließlich um mehr, als nur neue Hörsäle von innen zu betrachten.